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Groove Mag Off The Tracks mit Alex.Do

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Groove Mag Off The Tracks mit Alex.Do

Groove Off The Tracks – Alex.Do über den Filmklassiker “Welt am Draht”, der ihm als Inspiration zu seiner dritten EP auf Dystopian, “World On A Wire” diente.

https://groove.de/2018/04/30/off-the-tracks-mit-alex-do-welt-am-draht-fassbinder-film/

 

In unserer Essay-Serie Off The Tracks laden wir Artists dazu, über ein Thema ihrer Wahl zu schreiben. Im Mittelpunkt steht der Anspruch über den eigenen Tellerrand hinzublicken, um mal eine andere Facette von sich zu präsentieren. So schrieb für uns etwa Tricky über seine Leidenschaft für Martial Arts, Ambivalent über seine Punk-Vergangenheit oder etwa Marquis Hawkes über die Vereinbarkeit Party-Lifestyle und Familie.

Der nächste OTT-Beitrag stammt von Alex.Do. Der Berliner Produzent und Techno-DJ veröffentlicht im Mai seine insgesamt dritte Full-Length-EP auf Dystopian. Und wie bereits die „Stalker“ (2014) und „Beyond The Black Rainbow“ (2016) verweist auch „World On A Wire“ auf einen Science-Fiction-Filmklassiker. Diesmal ist es Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder. Hier schreibt Alex.Do, warum und inwiefern ihn der „verstörende“ TV-Zweiteiler aus den Siebzigern bei Musikmachen beeinflusst hat.


 

Der Film Welt am Draht erschien 1973 gestaffelt in zwei Teilen im damaligen Westdeutschen Fernsehen und wurde von der deutschen Filmikone Rainer Werner Fassbinder nach einer Romanvorlage gedreht und gilt als der erste deutsche Sci-Fi-Film.

Wann ich diesen das erste mal gesehen habe, weiß ich gar nicht mehr so genau, aber ich müsste ungefähr im Alter von acht Jahren gewesen sein. Ich weiß, dass ich nur den ersten Teil gesehen habe und das hat mich schon auf eine harte Probe gestellt, denn verstanden habe ich das gesehen nicht mal im Ansatz. Auch wenn ich den Film jetzt noch sehe denke ich mir, dass es schon ein sehr sonderbares und teilweise verstörendes Werk ist.

Das fängt für mich bei den Dialogen an. Wenn ich diese versuche objektiv zu betrachten, so habe ich das Gefühl, als seien diese teilweise einfach schlecht gedubbed. Ob die Dialoge nachträglich eingesprochen oder geangelt wurden, konnte ich nicht herausfinden, aber für mich fühlt es sich so an, als ob manchmal Erstes, bedingt durch ihr teilweise sehr hölzernes und irgendwie von Bild und Figur losgelöstes Daherkommen, der Fall ist, und ich erinnere mich noch gut, dass der Film, als ich ihn im Kindheitsalter gesehen habe, mich mit einem undefinierbaren Gefühl zurück gelassen hat.

Neben der großartigen Bildästhetik, welche der Inneneinrichtung und der Mode der 70er-Jahre, aber auch der Farbgebung der damaligen Aufnahmetechnik geschuldet ist, war auch der Soundtrack – komponiert von Gottfried Hüngsberg – ein wirklich futuristisches und seltsames Werk bestehend aus ‚Early-Electronics‘, A-Tonalen Klanggebilden und Noise Ansätzen, die perfekt zu der futuristischen Thematik passen.

Wenn man den Film guckt, könnte einem das Szenario vielleicht auch bekannt vorkommen – eine Firma hat eine digitale Parallelwelt in einem gigantischen Computersystem errichtet, welche von sogenannten Identitätseinheiten bevölkert wird, von denen jedoch keine, bis auf eine einzige – die Kontakteinheit – weiß, dass sie simulierte Lebensformen sind.

 Teile dieser Story dienten den Wachowski-Brüdern als Inspiration für ihren Film The Matrix. In Welt am Draht ist das aber nur das Setting; der Zuschauer folgten den Handlungen und Gedanken eines Angestellten dieser Entwicklungsfirma, der nacht dem plötzlichen Tod des vorherigen Abteilungsleiters zu ebendiesem ernannt wird.

Nach Antritt seines neuen Postens ist der Protagonist – Fred Stiller – mit immer mehr Ungereimtheiten, in der echten, als auch der digitalen Welt, konfrontiert und versucht diese zu ergründen. Das fängt bei dem unerklärlichen Tod seines Vorgängers, Professor Vollmer, an. Dieser hatte vor seinem Ableben verkündet, dass er eine große Entdeckung gemacht hat, von welcher er lediglich seinem Kollegen Günther Lause erzählen konnte.

Diesen konsultiert Stiller auf einer Party – die Darstellung dieser ist für mich eines der Highlights des Filmes; es gibt einen Raum mit einem Pool, in dem Menschen schwimmen, dieser wird im gemächlichen Spaziergang von den Geschäftsleuten umrundet und man unterhält sich über triviale, wie geschäftliche Dinge, des Weiteren gibt es eine Art Ruheraum mit einer Bar. In diesem begegnet Stiller auch besagtem Kollegen Lause, welcher ihm davon erzählt, dass Vollmer eine große Entdeckung gemacht hat.

Ab diesem Punkt wird Fred Stiller aktiv in die unerklärlichen Vorkommnisse eingebunden, denn kurz darauf verschwindet Lause wie vom Erdboden und keiner seiner Kolleginnen und Kollegen scheint von seiner Existenz, welcher einen festen Posten im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung hatte, zu wissen. Selbst in den Mitarbeiterakten ist nichts mehr über ihn zu finden und man kann beobachten, wie Stiller beginnt, Dinge zu hinterfragen.

Es kommt zu weiteren, sonderbaren Begebenheiten; eine der Identitätseinheiten wollte einen Selbstmord begehen – ein Aktion, die nicht in das Verhaltensmuster einprogrammiert wurde – und die Kontakteinheit möchte aus der Simulation ausbrechen, um in der realen Welt zu leben. Dies gelingt ihr auch kurzzeitig, in dem sie sich in den Körper eines echten Menschen, welcher zu Gast in der digitalen Welt war, überträgt, doch bleibt dies nicht unbemerkt und die Kontakteinheit mit dem Namen Einstein wird wieder in die Simulation zurückgeschickt.
Ab einem gewissen Punkt begreift Fred Stiller, dass er, zum einen, umgebracht werden soll und dass er sich, zum anderen, ebenfalls in einer Simulation befindet. Ich kam nicht umhin, bei diesem verschachteltem Szenario an Inception zu denken. Mit Hilfe von Eva Vollmer, der Tochter von Stillers Vorgänger, gelingt es ihm letztendlich aus dieser Simulation auszubrechen.

Auch hier hatte ich ein ähnliches Gefühl, dass ich wie bei Inception im Ungewissen gelassen werde, ob ich sich der Protagonist letzten Endes nun in der Realität oder einer einer weiteren Simulation befindet und bin der Meinung, dass Fassbinder es grandios inszeniert hat; die Art wie man langsam an die Charaktere und die Handlung herangeführt wird und wie die Hauptfigur nach und nach beginnt, den Verstand zu verlieren.

Auch hatte ich ständig das Gefühl, dass Fred Stiller gegen Windmühlen kämpft, denn sein Vorgesetzter Herbert Siskens tritt ihm die ganze Zeit über mit einer sehr entspannten, fast schon hämischen Art entgegen – so als ob es egal ist, was Stiller tue, da er in jedem Fall der unterlegene ist; so als ob er eben nur eine Figur in einer Simulation ist, die sich nach Belieben und zum Vorteil ihrer Erschaffer wandeln lässt.

Wie ich bereits erwähnt habe, war ich, als ich diesen Film das erste mal gesehen habe, bei weitem zu jung, um die Stimmung und die Ebenen des Filmes in ihrer Gänze zu fassen. Doch ich denke, dass dieser Film einen nicht unwesentlichen Grundstein für mein Interesse an abseitigen und komplexen Filme gelegt hat.

Erst kürzlich habe ich den Film wieder gesehen, da ich mich dafür entschieden habe, ihn als Thema für meine nächstes Release auf dem Label Dystopian zu nehmen, und nicht nur die Platte „World On A Wire“ nach dem Film zu benennen, sondern auch die vier darauf zu findenden Lieder mit jeweils dem Namen eines Charakters aus dem Film zu versehen. Die Platte wird voraussichtlich gegen Mai veröffentlicht.